Dame und Schwein by Bodo Kirchhoff

Dame und Schwein by Bodo Kirchhoff

Autor:Bodo Kirchhoff
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2016-11-15T00:00:00+00:00


Hundenarr

Auf Drängen seiner Töchter, Zwillingen mit hoher Babystirn, hat der Altpräsident (noch ohne Nachfolger, keiner vermochte bisher in seine Fußstapfen zu treten) den bekannten Autor P., der im Laufe einer Vortragsreise auch nach F. kam, für eine Lesung im privaten Rahmen gewonnen. Man erzählte, daß ein großangelegtes Werk im Entstehen sei, ein Zyklus der Begierden, und P., nach langer Abgeschiedenheit, wieder Bereitschaft zeige, vor einem ausgesuchten kleinen Kreis zu lesen.

Und ein ausgesuchter kleiner Kreis hatte sich an diesem herbstlichen Abend in der Villa des Altpräsidenten eingefunden. Da gab es vor allem den Hausherrn, dessen jährlicher Künstlerempfang selbst in kritischen Blättern mit Hurra vermerkt wurde, und seine schweigsame Frau, eine ihrer feinen mütterlichen Art wegen geschätzte Gastgeberin; und es gab die Zwillingstöchter, Gegenstand zahlloser Witze, hinter denen sich oft ausgefallenste Wünsche verbargen, besonders der schon älteren Künstler, die im Hause verkehrten. Ferner war ein Zahnarztehepaar anwesend, beide am literarischen Leben, wie sie nie müde wurden zu betonen: äußerst interessiert, sowie ein Freund der Familie, ein früher vielbeachteter, jetzt mit seinem Pessimismus etwas ins Abseits geratener Kritiker, auffallend nur noch als dichtbehaarter, vor sich hin brütender Mann; und, auf ihr Bitten hin, die Kulturdezernentin der Stadt, verflossene Geliebte des Gastgebers, eine Frau, die von sich selbst gern sagte, daß sie zärtlich sei.

P. kam mit leichter Verspätung. Er hatte den Text noch verändert; kleine Schaumkugeln, die ihm aus den Mundwinkeln traten, verrieten, daß ihm jede Gemütsruhe fehlte. Schon im Vestibül der Villa nahm ihn der Altpräsident in Empfang. Lieber, sagte er und wußte nicht weiter. Er half P. aus dem Mantel, er gab ihm Gelegenheit, seine Kleidung zu richten. P. wischte die kleinen Schaumkugeln fort und schritt dann auf eine weit geöffnete Tür zu. Sie führte in den Raum, in dem die Geladenen saßen. Sie saßen wie zwanglos, frontal zu einem Lesepult; unweit der Tür lag ein Schäferhund auf dem Parkett. Er war schwarz und trug einen Maulkorb, und aus dem dichten Fell stand ein Stück weit sein Glied, wie die Spitze einer roten, von Schmelz überzogenen Kerze. P.s Schritte wurden kürzer; um den Eindruck zu vermeiden, er zögere wegen des Hundes, zählte er die Textseiten nach. Und während er sich noch vertieft gab, kamen die Zwillingstöchter. Sie trugen lange nachtblaue Kleider, die um die Schultern herum silbrig bespritzt waren – eine Anspielung auf die Milchstraße –, und sie fragten den Ehrengast leise, ob er sich erschrocken habe vor ihrem Hund.

Da muß ich Sie enttäuschen, sagte P.

Die beiden schauten sich an. Ihre Ähnlichkeit war erschreckend. Jede schien nur in ihrer Verdoppelung zu existieren; einstimmig sagten sie: Er ist unschuldig an seinem Zustand.

P. stimmte dem, aus biologischer Sicht, zu. Ein Hund sei schließlich kein Mensch. Aber irgendwie komme er einem auch hilflos vor – Warum der Maulkorb?

Wegen der Gäste, wegen Ihnen, sagten die zwei.

P.s Ohrläppchen schwollen an, ein altes Leiden, das ihn immer wieder verriet. Er warf noch einen Blick auf den Hund, auf dessen hartnäckige Schwellung. Wie in alle Hunde konnte er sich auch in diesen Hund einfühlen, in dessen Welt der Gerüche, in dessen hündisches Wesen.



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